Die Frage nach dem »Warum?« hat im Zusammenhang mit Sprache fast immer die gleiche Antwort: Weil es sich so eingebürgert hat.
Wie funktionieren Sprach-Regeln?
Es gibt wohldefinierte Regeln, die man in der Schule lernt, und mit deren Hilfe man eine Fremdsprache lernen kann. Das sind Regeln, die in Büchern stehen. Aber diese Regeln definieren nicht den ganz alltäglichen Gebrauch einer Sprache. Kinder, die noch nie in der Schule waren, beweisen es jeden Tag: Man kann verständlich sprechen und man kann andere verstehen, ohne je eine einzige Regel gelernt zu haben, und auch ohne eine einzige Regel formulieren zu können. Es ist in Wahrheit nämlich umgekehrt: Der alltägliche Gebrauch einer Sprache legt fest, welche Regeln man in die Bücher schreiben muss. Und weil sich die Sprache ständig ändert, müssen auch die Regeln von Zeit zu Zeit angepasst werden.
Ein Beispiel:
Als ich noch in die Schule ging sagte man »etwas ist sinnvoll« oder »etwas ergibt Sinn«. Niemand sagte »etwas macht Sinn«. Die Idee, Sinn sei etwas, das von einer Sache oder einem Vorgang hergestellt werden könne, erschien damals völlig absurd. Hätte ich als Schüler in den 1970er-Jahren den Satz »Essen macht Sinn weil man sonst verhungert« in einem Aufsatz geschrieben, wäre mir das aus gutem Grund als Fehler angerechnet worden, weil Sinn nichts ist, was durch den Vorgang, den man »Essen« nennt, hergestellt werden kann. Heute gehört »das macht Sinn« aber zum ganz alltäglichen Sprachgebrauch und stört niemanden mehr. Kein Lehrer würde heute darin einen Fehler sehen. Die Regel, die in den 1970er-Jahren die Konstruktion »das macht Sinn« verboten hat, gilt heute nicht mehr.
Auf diese Weise wandelt sich die Sprache in einem ständigen Prozess. Es ist der tatsächliche alltägliche Gebrauch, der diesen Wandel vorantreibt. Die Regeln, die man in Deutschbüchern nachlesen kann, sind nur der Versuch, die impliziten Regeln, nach denen die Menschen auf der Straße ihre Sätze bilden, explizit zu machen. Daher hinken diese Regeln in den Büchern immer dem tatsächlichen Gebrauch hinterher.
Wie geht so eine Änderung vonstatten?
Das ist recht einfach: Jemand verstößt gegen eine etablierte Sprachregel. Der häufigste Grund: Dieser Jemand beherrscht die Sprache nicht auf höchstem Niveau. Das können Kinder sein, aber auch Menschen, die Deutsch als Fremdsprache sprechen, und unbewusst Elemente einer anderen Sprache in ihren Gebrauch der deutschen Sprache einbringen. So etwas ist zunächst ganz formal ein eindeutiger Fehler.
Aber andere, die das hören, finden möglicherweise an dieser anderen Art zu sprechen vielleicht Gefallen und ahmen sie nach. Das kann ganz bewusst erfolgen, viel häufiger geschieht das aber unbewusst. Der neue Sprecher merkt gar nicht, dass er selbst den Fehler eines anderen Sprechers wiederholt.
Dadurch vergrößert sich die Gruppe, die eine bestimmte Regel durch eine andere Regel ersetzt. In den meisten Fällen bleibt so etwas auf eine kleine Gruppe beschränkt, die dann wieder schrumpft, so dass am Ende alles wieder wie früher ist. Aber manchmal schließen sich immer mehr Menschen diesen neuen Art zu sprechen an. Das kann dann so weit gehen, das am Ende (fast) die gesamte Sprachgemeinschaft den Wechsel zur neuen Regel vollzogen hat. Spätestens dann ist es Zeit für die Autoren von Grammatikbüchern ihre Bücher zu überarbeiten.
Was heißt das für den Gebrauch von Maßeinheiten?
Das bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung mitbekommen hat, dass ihre Mitmenschen Maßeinheiten meist im Singular verwenden. Daher machen sie es selbst genau so. Und weil aber doch manchmal Einheiten im Plural verwendet werden, sind viele Sprecher verunsichert und sie wissen nicht immer genau was richtig und was falsch ist. Und genau das ist der Grund, warum so viel Sprecher hier Fehler machen, wobei das Begriff »Fehler« nicht so streng gesehen werden darf. Es sind eher individuelle Variationen.
Was sind nun die streng formalen Regeln für Maßeinheiten?
Dazu muss man erst mal definieren was eine Maßeinheit ist und was nicht.
Jemand sagt:
Auf meinem Schreibtisch liegen drei Euros.
Damit ist gemeint, das drei Ein-Euro-Münzen auf dem Tisch liegen. Hier wird »Euro« nicht als Maßeinheit verwendet, sondern es sind damit ganz bestimmte Gegenstände gemeint. Weil es davon aber mehrere gibt, muss man hier die Mehrzahl verwenden.
Auf meinem Konto liegen drei Euro.
Hier sind keine einzelne Münzen gemeint, die man aufheben und fallen lassen kann. Hier geht es um einen Geldbetrag, dessen Größe mit Hilfe einer Maßeinehit gemessen werden kann. Diese Einheit heißt »Euro« und besitzt keine Mehrzahl. (Ich betrachte hier »EuroMünze« und »EuroWährungseinheit« als zwei verschiedene Wörter)
Vielen ist auch unklar, welche Begriffe als Maßeinheiten verwendbar sind.
- Das sind natürlich die gesetzlichen und physikalischen Einheiten (Quadratkilometer, Joule, Minute, Dollar)
- Dann gibt es die historischen Einheiten (Klafter, Joch, Lot, Ballen)
- Aber im sprachlichen Sinn gelten auch ungenormte Größen als Maßeineit (Armlänge, Handvoll, Tasse)
Und das sind die Regeln:
Prinzipiell werden Maßeinheiten nicht flektiert wenn sie hinter Zahlwörtern stehen
Mit 20 Euro wirst du nicht weit kommen.
Irene hat gestern drei Paar Schuhe gekauft.
Wenn die folgenden Bedingungen zutreffen, darf die Einheit flektiert werden.
- Eine Präposition bewirkt, dass das die Einheit im Dativ steht.
- Es handelt sich um eine ungefähre und um eine laienhafte Aussage, also um keine technisch exakte Angabe.
- Die gezählte oder gemessene Größe steht nicht hinter der Einheit.
Das ist also erlaubt:
Ab einer Entfernung von ca. drei Metern sehe ich nicht mehr scharf.
Aber das muss man nicht machen. Auch das ist daher erlaubt:
Ab einer Entfernung von ca. drei Meter sehe ich nicht mehr scharf.
Hier darf aber nicht flektiert werden:
Ab drei Meter Entfernung sehe ich nicht mehr scharf.
Grund: Die gemessene Größe (Entfernung) steht hinter der Einheit.
Einheiten, die weiblich sind und auf e enden, müssen flektiert werden.
Die Tonne - Drei Tonnen Sand liegen auf dem LKW.
Die Krone - Der Eintritt kostete 30 Kronen.
Die Minute - Ich warte hier schon seit 15 Minuten.
Einheiten, mit denen Zeit gemessen wird, verwendet man immer im Plural.
Walters Alter beträgt 37 Jahre.
Das dauert nun schon 14 Tage.