Methodologie
In meinen Augen birgt ein vorschnelles Abgleiten in normative Kategorien die Gefahr, den Blick zu verstellen. Aufgrund der Tatsache, dass beide Schreibweisen verbreitet sind, kann man nicht einfach von falsch und richtig sprechen. Erkenntnis kommt hier nur aus einer unbefangenen Beschreibung des Phänomens. Um die Frage nach semantischen Unterschieden zu beantworten, ist es zunächst einmal hilfreich, die unterschiedliche Morphologie zu beschreiben und grammatisch einzuordnen. Wenn es sich um grammatische unterschiedliche Formen handelt, könnten mit der jeweiligen Form unterschiedliche Bedeutungsnuancen einhergehen.
Ich habe kein besonderes Wissen, und kann mich nicht auf Quellen berufen. Dennoch versuche ich, die beiden Formen zu analysieren und meine Schlüsse so gut wie möglich zu begründen. Ich versuche dabei, Unsicherheit durch vorsichtige Wortwahl wiederzugeben.
Phonetischer Unterschied
In meinen Augen unterscheiden sich die beiden Varianten nicht nur im Graphem, sondern auch auf der phonetischen Ebene: 80er Jahre hat eine stärkere Betonung auf der ersten Silbe (acht), während 80er-Jahre die Betonung eher auf der vierten Silbe (Jah) hat. Eine Betonung auf der vierten Silbe scheint mir bei 80er Jahre geradezu ausgeschlossen.
Analogien
Eine Möglichkeit, die beiden Formen grammatisch zu vergleichen, besteht darin, analoge Phänomene zu betrachten. Tut man das, so zeigt sich folgendes Bild:
A) 80er Jahre ist analog zu folgenden Formen:
- der Potsdamer Platz
- die Leipziger Straße
- Münchner
B) 80er-Jahre ist analog zu folgenden Formen:
Unterstellt man, dass die jeweiligen Schreibweisen semantische Einflüsse aus den Analoga beziehen, dann muss man sich fragen, wie man die Wortbildung in den Analoga charakterisieren kann, und welche Bedeutungsunterschiede bzw. -nuancen sich daraus ergeben. Ich meine, dass man bei den Analoga folgendes beobachten kann: Die unter A) aufgeführten Formen drücken Zugehörigkeit aus, die unter B) nicht:
- der Potsdamer Platz: "der zu Potsdam gehörende Platz"
- die Leipziger Straße: "die nach Leipzig führende Straße"
- ein Münchner: "ein Einwohner Münchens"
- eine 50er-Banknote ist nicht "die zu den 50 gehörende Banknote", sondern "die Banknote mit der 50"
- ein 6er-Pasch ist nicht "der zu den Sechsen gehörende Pasch", sondern "der aus Sechsen bzw. aus Sechsern bestehende Pasch"
Die Zusammensetzung mit Bindestrich drückt also nur ganz allgemein eine wie auch immer geartete Verbindung aus, ohne diese als Zugehörigkeit näher zu charakterisieren. Das Suffix hätte demnach im Fall von 80er Jahre eine andere Funktion als im Fall von 80er-Jahre.
Diese unterschiedliche Konzeptualisierung würde ich als semantische Nuance bezeichnen, auch wenn sich die jeweiligen Denotate von 80er Jahre und 80er-Jahre nicht unterscheiden. Mir scheint aber, dass diese Nuance in der tatsächlichen Verwendung keine Rolle spielt. Für die letzte Aussage kann ich jedoch keine Belege anführen, sondern nur mein "Sprachgefühl".
Normative Erwägungen
Zu guter Letzt doch noch ein Kommentar zur normativen Frage: Die in der Frage zitierte Regel besagt
Bilden Verbindungen aus Ziffern und Suffixen den vorderen Teil einer Zusammensetzung, so setzt man nach dem Suffix einen Bindestrich.
Man könnte die Schreibweise 80er Jahre im Angesicht dieser Norm als korrekt rechtfertigen, indem man sie eben gerade nicht als Zusammensetzung betrachtet, sodass die Regel hier gar nicht einschlägig ist. Ich halte das für plausibel. Vielleicht ist aber auch nur die Regel ungeeignet, die tatsächliche Sprachpraxis abzubilden. In diesem Fall stellt sich immer die Frage nach der Autorität von irgendwelchen Regeln, die irgendjemand aufgestellt hat.