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Neulich las ich in der "Zeit" einen Satz, der mich im Lesefluß stocken ließ. Ich kann mich nicht genau an den Satz erinnern, daher hier eine "in etwa-e" Wiedergabe:

Die Behauptung vieler Politiker, sie kennten sich aus....

Meine ursprünglichen Fragen waren diese:

  • Ist dies tatsächlich der "synthetische" Konjunktiv 2 von kennen?
  • Ist es normal, diesen zu benutzen, oder wäre die analytische Version "würde kennen" vorzuziehen?

EDIT:

  • Wäre eine Verwendung des Konjunktiv 1 auch vorstellbar? Es würde in meinen Ohren sogar natürlicher klingen ohne den "indirekte Rede" Moment zu verlieren.
Emanuel
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    Canoo.net kennt die Form auch: http://www.canoo.net/inflection/kennen:V:haben – elena Sep 03 '13 at 13:54
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    Zur dritten Frage: Der Konjunktiv I ist hier ja mit dem Indikativ identisch (sie kennen sich aus). Gerade wenn man offenbar den Wahrheitsgehalt anzweifelt, braucht man schon etwas, das die indirekte Rede kenntlich macht. – chirlu Sep 03 '13 at 14:13
  • Das ist mir klar, aber erstens ist indirekte Rede durch das Wort "behauptung" mehr als nur impliziert und ich höre den Konjunktiv 1 mit wenn ich einmal in die Richtung denke... kennten hingegen stört mich einfach nur, da ich dieses Wort defacto nicht kenne... abr das ist nur meine Meinung – Emanuel Sep 03 '13 at 14:16
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    Auch wenn ich im eigenen Sprachgebrauch zu "kennen würde" tendiere, so ist es doch für mich absolut einwandfrei lesbar. Kein Holperstein. – Em1 Sep 03 '13 at 14:43
  • "kennten" ist mir noch nie untergekommen. Entweder ausgestorben oder nur außerhalb von Deutschland verwendet. "..., sie würden sich auskennen ..." ist gebräuchlich – äüö Sep 03 '13 at 15:15
  • Ich gehe mit Em1. Ich hab kennten wie erwähnt im Ohr. Es wurde mir somit vermutlich zu Hause, in der Schule, und sonstwo eben so antrainiert. Aber dem Konjunktiv II gehts wohl wie dem Genitiv. – alk Sep 03 '13 at 16:51
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    @alk: äh... wem? – Emanuel Sep 03 '13 at 16:55
  • @Emanuel: Ich kann nicht folgen. Was ist unklar? – alk Sep 03 '13 at 17:01
  • @alk: Das war ein Scherz... von wegen Genitiv und so ;) – Emanuel Sep 03 '13 at 17:04
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    @Emanuel: Achso, sorry, das schnallt der kleine Autist in mir latürnich nicht. S-) – alk Sep 03 '13 at 17:06
  • @alk Genitiv ins Wasser, weil es Dativ ist. – Em1 Sep 03 '13 at 20:51
  • ist wirklich am Aussterben: http://books.google.com/ngrams/graph?content=kennte&year_start=1800&year_end=2000&corpus=8&smoothing=3&share= – äüö Sep 04 '13 at 21:25
  • @falkb: Das kann man m.E. aus dem Ngram nicht entnehmen. Die Zahlen sind schon Verhältnisse, wobei ich nicht weiss welche genau - Vorkommnisse pro Text, pro Seite, pro Satz oder Wort? Jedenfalls aber jeweils zu ihrer Zeit. Heute ist der Quotient etwa 1/8 so hoch wie um 1800. Wenn aber in der gleichen Zeit der Textkonsum/die Textproduktion um mehr als das 8fache zugenommen hat - das halte ich für gut möglich - kommt man heute summa summarum häufiger mit dem Wort in Kontakt als anno dunnemals. Es stirbt also nicht aus. – user unknown Sep 17 '13 at 16:16
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    @user unknown: Es ist auf Wörter bezogen. Wenn du 1820 eine Textmenge von zehn Million Wörter in damals aktuellen Büchern gelesen hast, bist du 28mal auf kennte oder kennten gestoßen (plus ein weiteres Mal auf kenntest oder kenntet). Unter zehn Millionen Wörtern aus dem Jahr 2000 gab es gerade noch knapp 4 Vorkommen von kennte oder kennten und 0,1 von kenntest oder kenntet. – Zum Vergleich: Geomantik ist über die letzten fünfzig Jahre etwa gleich häufig. – chirlu Sep 17 '13 at 16:55
  • @chirlu: Für das Aussterben ist aber nicht die relative Häufigkeit entscheidend, sondern die absolute. Solange die absolute Zahl wächst wird man kaum von einem Aussterben sprechen können. – user unknown Sep 17 '13 at 17:23
  • Quatsch, wenn der Anteil sinkt, wird es durch anderes ersetzt – äüö Sep 17 '13 at 20:46

1 Answers1

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Kennen gehört zu einer kleinen Gruppe von Verben (mit brennen, rennen und nennen), die zwar schwach konjugiert werden, aber im Präteritum und im Partizip Perfekt den Stammvokal zu a wechseln:

ich kannte, wir nannten, ein gebranntes Kind, sie sind gerannt

Alle anderen Formen sind vollkommen regelmäßig gebildet und haben ein e. Somit lautet auch der Konjunktiv II kennte, kenntest, kennten, kenntet. Das ist insofern ungewöhnlich, als er bei schwachen Verben sonst mit dem Präteritum zusammenfällt:

Selbst wenn man sie trennte, würde das nichts ändern.
Man trennte sie, was nichts änderte.

Vermutlich deshalb sind die Konjunktiv-II-Formen von kennen usw. noch weniger „im Ohr“ als bei anderen Verben und werden noch stärker gemieden, d.h. meistens mit würde umschrieben. Es sind aber die historisch korrekten Formen (Belege bei Schiller und Goethe in einem Artikel der GfDS-Sprachberatung; Link beigesteuert von Wrzlprmft), die auch – in den letzten Jahrzehnten stetig abnehmende – Verwendung in der späteren Literatur finden (Statistik aus dem Google-Books-Corpus; Auswertung, modifiziert, nach falkb).


Zur nachgeschobenen Frage (die eigentlich nicht hierher gehört, weil sie nicht spezifisch für kennen ist), verweise ich auf diese Antwort, die es recht genau trifft.

Im Singular wäre Konjunktiv I normal („Seine Behauptung, er kenne sich aus“), im Plural bleibt – wegen des Zusammenfalls von Konjunktiv I und Präsens – nur Konjunktiv II („Ihre Behauptung, sie kennten sich aus“) oder die würde-Form („Ihre Behauptung, sie würden sich auskennen“). Indikativ wäre jedenfalls für einen Artikel in der Zeit falsch – da würde ich mein Abo kündigen, wenn ich es noch hätte.

chirlu
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  • Zur Antwort auf die nachgeschobene Frage: 1) Es gibt keine Pflicht, den Konjunktiv Ⅰ durch den Konjunktiv Ⅱ zu ersetzen, wenn er mit dem Indikativ zusammenfällt (auch wenn es häufig empfehlenswert ist). 2) Der Wortlaut des Beispielsatzes legt nahe, dass hier der Irrealis (Konjunktiv Ⅱ) beabsichtigt ist, um zu unterstreichen, dass eine falsche Behauptung wiedergegeben wird (und Politiker sich also in Wirklichkeit gar nicht auskennen). – Wrzlprmft Sep 17 '13 at 14:53
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    @Wrzlprmft: Was heißt schon Pflicht? Normative Grammatiken sind arg aus der Mode gekommen. :) Trotzdem schreibt die Duden-Grammatik, der Konjunktiv sei in einem nicht mit daß eingeleiteten Satz „zwingend gefordert, weil er … das einzige Merkmal für die indirekte Rede ist“. Das kann man auch auf die Wahl von Konjunktiv II übertragen, wo die Duden-Grammatik sich allerdings zurückhaltender ausdrückt. – Daß eine stärkere Distanzierung vom Inhalt beabsichtigt ist, kann natürlich sein; wir kennen ja den weiteren Kontext nicht. Dann aber erst recht kein Indikativ. – chirlu Sep 17 '13 at 15:07