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In der alten Rechtschreibung bildete die Buchstabenkombination st eine Ausnahme bei der Silbentrennung, da sie nicht getrennt wurde, auch wenn es im Widerspruch zu den sonstigen Trennregeln stand. Man trennte z. B. Knos-pen, Kon-ten, hor-ten, aber ko-sten. Einzige Ausnahme waren Wortfugen (Diens-tag).

Die entsprechende Regel für gebrochene Schriften war schlicht »Trenne nie ſt« (da st immer und nur an Wortfugen auftrat).

Als Begründung für diese Regel wird meistens in etwa Folgendes genannt: ſt bildete im Fraktursatz eine sogenannte Zwangsligatur, die z. B. auch beim Sperren der Buchstaben zusammenblieb und teilweise wie ein eigener Buchstabe behandelt wurde (wie z. B. auch das ß, dessen Ursprünge auch in einer Ligatur liegen). Das ist zwar so weit richtig, aber nun gehörte neben ſt, ch und ck eben auch tz zu den Zwangsligaturen, und dieses wurde getrennt (z. B. Kat-ze) – und das obwohl es sowohl aussprachetechnisch als auch typografisch viel eher Eigenschaften eines Buchstabens aufwies. Das alleine konnte es also nicht gewesen sein. (Analog, nur etwas komplizierter auch für ck.)

Gibt es irgendeine Erklärung dafür, warum ſt nicht getrennt wurde, tz aber schon?

Wrzlprmft
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  • Ich hätte den Superlativ im Verdacht (schöns-te), aber man müßte wohl in die Unterlagen der II. Orthographischen Konferenz schauen. – chirlu Sep 17 '13 at 23:04
  • Ich hatte eine wunderschöne Theorie, die auf den Unterschied zwischen Haus-teil und hauſ-te hinarbeitete, war dabei sie auszuformulieren, als mir aufgefallen ist, dass ſſ ja auch ſ- ſ getrennt wurde. Das schließt ästhetische Argumente (ſ- sei hässlich) aus, und erschafft gleichzeitig einen Präzedenzfall einer Ligaturtrennung. Bliebe höchstens noch, dass ſt so oft vorkäme. Was auch nicht per se überzeugt. – Jan Apr 09 '15 at 18:44
  • @Jan: ſ- hattest Du nebenbei auch bei Wörtern wie Weſ-pe und laſ-ziv. Die Ligaturtrennung bei ſſ ist weniger spektakulär als die von ſt, da ſſ keine Zwangsligatur war, also bei Sperrung nicht beibehalten wurde. Viel wichtiger ist hier die Zwangsligatur tz, die nicht gesperrt, aber sehr wohl getrennt wurde, z. B. in Kat-ze. – Wrzlprmft Apr 09 '15 at 21:24
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    @Wrzlprmft: Naja, Henne oder Ei. Wurde ſt nicht getrennt, weil es eine Zwangsligatur war, oder wurde ſt zu einer Zwangsligatur, weil es nicht getrennt wurde? Vielleicht ist auch die wahre Frage warum wurde tz überhaupt getrennt? Denn schließlich ist die tz-Ligatur dem unzertrennlichen ß viel näher als ſt es je werden könnte (in dem Sinne, dass die Form des z stark verändert wurde). – Jan Apr 09 '15 at 21:44
  • Warum? »denn es tut den beiden weh«. Diesen Spruch habe ich jedenfalls in der Schule gelernt: »Trenne nie S-T, denn es tut den beiden weh.« – Hubert Schölnast Mar 14 '16 at 20:53
  • Eine hypothetische Regel, die ſt / ʃt (ſt) und ſs / ſz / ſʒ / ʃs / ʃz / ʃʒ (ß) aber nicht ch, ck, tz / tʒ (ꜩ) und auch nicht st (st), ss, sz / sʒ abdeckt, wäre: „Trenne keine Oberlängenligaturen!“. Allerdings durften ft, ff (ff), fl (fl), tt durchaus getrennt werden – markanterweise mit ggf. durchgezogenem Querstrich –, also eher: „Trenne keine Ligaturen, die mit ſ beginnen!“, denn bspw. „Trenne keine Ligaturen, die sich über alle Bänder erstrecken (können)“ kann auch auf f (ƒ) zutreffen. – Crissov Mar 31 '16 at 20:16
  • @Crissov: Die Hypothese scheitert an ſſ (z. B. in Waſ-ſer), ſl (z. B. in wechſ-le) oder ſb (in Aſ-beſt). Siehe auch Jans Kommentar weiter oben. – Wrzlprmft Mar 31 '16 at 20:28
  • War denn ſſ eine Zwangsligatur? ſl, ſb oder auch ſk und ſh dürften in deutschen Druckereien eher selten als Ligatur vorhanden gewesen sein. ck und tz unterscheiden sich auch dadurch von ſt, dass sie Ersatzschreibungen für die Doppelbuchstaben kk und zz sind, die behandelt werden sollten wie bspw. ſſ – dann wäre die Frage eher, warum neben Kak-ke nicht auch Kaz-ze getrennt wurde und die Antwort wäre vielleicht, dass außer an Morphemgrenzen z nach Vokal immer ein t erfordert, also wäre höchstens Katz-ze möglich. – Crissov Mar 31 '16 at 20:53
  • War denn ſſ eine Zwangsligatur? – Nein, aber die f-Ligaturen waren es auch nicht. Wenn Du dies mit einbeziehen möchtest, kannst Du auch Regeln wie »Trenne keine Oberlängenzwangsligaturen.« oder »Trenne keine Zwangsligaturen, die mit ſ beginnen« ersinnen, die aber wenig aussagekräftig sind, da es eben nur vier bzw. fünf Zwangsligaturen gab (je nachdem, ob man ß hinzuzählt). — ſl, ſb oder auch ſk und ſh dürften in deutschen Druckereien eher selten als Ligatur vorhanden gewesen sein.ſt war in vielen Schriften auch keine tatsächliche Ligatur, wurde aber dennoch nicht gesperrt. – Wrzlprmft Apr 01 '16 at 06:27

3 Answers3

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Auf der Website von Fritz Jörn ist folgende plausible Begründung zu finden:

st :: durfte früher nicht getrennt werden, nicht weils eine Fraktur-Ligatur war, sondern weil es in der deutschen Handschrift (Kurrentschrift) stets als Buchstabenverbindung geschrieben wurde, wie Hermann Möcker, Wien, herausfand.

Die Website fand ich über den Thread Zwangsverbünde im gesperrten Fraktursatz: Das ſt auf typografie.info. Dort werden auch mehrere Belege dafür angeführt, dass ſt nicht immer einheitlich als Zwangsligatur gesetzt wurde.

nwellnhof
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    Das ist in der Tat die plausibelste Begründung, die ich bisher gehört habe, danke. Jetzt fehlt nur noch irgendeine historische Quelle hierzu. (Den Thread of Typografie.info kannte ich auch noch nicht (und das obwohl ich dort Moderator für gebrochene Schriften bin), was vermutlich damit zusammenhängt, dass er bei einer Softwareumstellung zerschossen wurde.) – Wrzlprmft Dec 04 '15 at 19:59
  • @Wrzlprmft Ich vermute in einer Veröffentlichung von Möcker wird etwas dazu stehen. Dazu konnte ich online jedoch nichts finden. – nwellnhof Dec 04 '15 at 20:36
  • Ich bin der Ansicht, dass man da noch ein bißchen tiefer graben müsste: Warum ist/durfte "st" eine Ligatur geworden? Ausschliesslich ästhetisch Gründe sehe ich da nicht, sondern eher Aussprachegründe. – tofro Mar 13 '16 at 16:23
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Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Verbindung st – im Unterschied zu tz, ck usw. – in Endungen vorkommt, insbesondere im Superlativ der Adjektive:

  • schnell – schnellste
  • warm – wärmste
  • lieb – liebste

Bei solchen Superlativen entspricht die Trennung schnell-ste, wärm-ste, lieb-ste der Wortgliederung.

mach
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  • Ein fes-ter Griff, der fes-tes-te Griff. Ich kann deinem Argument nicht ganz folgen. (Wenn das wirklich der Grund gewesen wäre, hätte das meines Erachtens nur für eine Regel »Trenne nie Superlativ-st« reichen dürfen, und das Wort könnte trotzdem fes-te-ster getrennt werden.) – Jan Apr 19 '16 at 16:25
  • Wohl hätte das gereicht, aber das wäre ja noch komplizierter: Trenne nie Superlativ-st, denn das tut ihm weh, aber Wortstamm-st kennt keine Schmerzen. Mein Argument ist eben, dass es um Analogie geht. Hätte ich wohl explizit hinschreiben müssen. – mach Mar 12 '20 at 07:03
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Aus Kosten- und Platzgründen standen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in der gebräuchlichen Frakturschrift das "s" als langes "s" und das "t" auf einem gemeinsamen Druckblock. Das Trennverbot wurde deswegen höchstwahrscheinlich beibehalten, um die alten Druckblöcke nicht wegwerfen zu müssen. (hier gefunden)

Der Verdacht wird fast schon zur Gewissheit, nimmt man noch diese Anmerkung zur II. Orthographische Konferenz hinzu: "... st (in den Fällen, in denen nach den Regeln des Fraktursatzes ein langes s gesetzt wird) jedoch nie getrennt werden dürfen ..."

äüö
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    Das mit dem gemeinsamen Druckblock nannte man auch Ligatur (s. o.) und das galt auch für tz und ck. Selbst abgesehen davon ist das Argument schwach, da nur eine sehr geringer Anteil aller ſt eine Silbentrennung erfahren hätte und man die alten Ligaturen mit Nichten hätte wegschmeißen müssen. – Wrzlprmft Sep 18 '13 at 08:40
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    Das erklärt auch nicht, wieso diese Regel für die Schreibschrift gilt. – user unknown Sep 18 '13 at 20:45
  • fast zwei Drittel der Druckerzeugnisse wurden früher in Fraktur gedruckt – äüö Sep 18 '13 at 22:09
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    @user unknown: Dass eine Regel vom Gedruckten aufs Geschriebene überschlägt oder umgekehrt, ist wenig verwunderlich. Mir geht es aber vor allem darum, wie es dazu kommen konnte, dass diese Regel ſt betrifft, aber nicht tz oder ck. – Wrzlprmft Sep 19 '13 at 16:40
  • Wieso ist das wenig verwunderlich? Da kaum ein Lehrer Drucker ist wird dieser kaum aus Gewohnheit so eine Regel zitieren. Wer den Grund der Regel kennt sollte sie auch nicht auf Geschriebenes übertragen. Wieso ist das wenig verwunderlich? – user unknown Sep 19 '13 at 23:46
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    @user unknown: Es gibt noch andere Wege, sich Rechtschreibung anzueignen, als Lehrer, z. B. die Lektüre von gedrucktem Material – zumal diese Regeln teilweise aus der Zeit vor einer einheitlichen Rechtschreibung stammen. Warum nutzen denn reale Menschen das Deppenapostroph? Wohl kaum, weil sie es in der Schule so gelernt haben, sich der Rechtschreibregelausnahme bewusst sind oder aus Überzeugung. (Hmm, ich habe gerade im ersten Satz ein nettes Beispiel für Kommasetzung produziert.) – Wrzlprmft Sep 20 '13 at 08:30
  • Der Spruch Trenne nie st - denn es tut ihm weh stammt aus gedruckten Werken? Warum nutzen denn reale Menschen das Deppenapostroph? Weil es dafür einen gedruckten Reim gibt? http://books.google.com/ngrams/graph?content=+denn+es+tut+ihm+weh&year_start=1800&year_end=2008&corpus=20&smoothing=0&share= – user unknown Sep 21 '13 at 00:57
  • @Wrzlprmft: Der ist schmuck: ...man die alten Ligaturen mit Nichten hätte... . Du bringst gleich die ganze Familie mit den Ligaturen um die Ecke.... ;) – tofro Mar 13 '16 at 16:23